Bünde im Nationalsozialismus
Ein Quellenverzeichnis präsentiert vom Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Bünde


30. Januar 1934:
Dankgottesdienst in der Neuen Kirche anläßlich des Jahrestages des nationalsozialistischen Sieges

 

Die Reichsregierung hat dafür gesorgt, daß die Feier des gestrigen Tages in dem Geiste sich vollzog, der das Kennzeichen des ersten Jahres unter Adolf Hitlers Führung ist: Taten statt schöner Festreden.

Bei allen Volksgenossen wird der Aufruf freudigen Widerhall gefunden haben, in dem der Reichspropagandaminister sagt, daß man der geschichtlichen Bedeutung des Tages am besten gerecht wird, wenn man ihn ohne rauschende Feste in der Idee einer lebendig gewordenen Volksgemeinschaft durch die einmütige Bekundung sozialer Hilfsbereitschaft begeht, wenn man sich noch einmal der Bedeutung und Größe des verflossenen Jahres des Sieges und der Aufbauarbeit bewußt wird, und dann voll Dankbarkeit und Anerkennung jeder in sich selber die geleistete Arbeit würdigt und preist.

In diesem Sinne fand auch der gestrige Dankgottesdienst in der neuen Kirche statt, die bis auf den letzten Platz gefüllt war. Auch die politischen Organisationen, wie SA, Stahlhelm, BDM, HJ usw. waren erschienen.

"Lobe den Herren ...", mit diesem Preislied, aus übervollem Herzen von der Gemeinde gesungen, fand der Dankgottesdienst seinen Anfang. Nach dem Gesang des Kirchenchors "Dir, dir Jehova, will ich singen ..." ergriff Pastor Prüßner das Wort zu einer sehr sinnvollen, klaren und aus tiefster Seele und dankbarsten Herzen kommenden Predigt, der der 6. Vers des 20. Psalm zugrunde lag: "Wir rühmen, daß Du uns hilfst ..."

Pastor Prüßner führte dann in Auslegung dieser Worte etwa folgendes aus: Lobe den Herren! so sprechen wir in dieser Abendstunde. Ein Jahr ist es her, daß unser Führer Adolf Hitler auf den Stuhl Bismarcks berufen ist. Wir feiern den 30. Januar als den Tag einer Zeitenwende und – wollte Gott – auch einer Weltenwende.

Viele sind zwar mit der neuen Zeit nicht einverstanden und sind nicht zufrieden mit dem Neuen. Aber die Aufrichtigen im Volke, die Geschichte zu lesen und zu würdigen wissen, feiern den 30. Januar als einen geschichtlichen Tag. Wir können nicht anders, als lobend unsere Hände empor zu heben und Gott zu bitten: Gott sei ferner mit uns wie Du mit unseren Vätern warst. Wir haben Grund zu solcher Bitte, und zu Lob und Dank in dieser Stunde vor Gottes Angesicht. Denn Großes ist geschehen: Gott hat sich unseres Volkes erbarmt.

Die Kanzel ist nicht die Stätte, noch mehr zu sagen, was in dem letzten Jahre in unserem Vaterlande geschehen ist. Wer aber heute am Rundfunk die große Rede unseres Führers gehört hat, der weiß, was heute an Opfersinn und Opferwillen in unserem Volke lebt. Wir wissen aber auch, daß alles Tun und Handeln in den Händen Gottes liegt. Alles ist umsonst, wenn er nicht sein Ja dazu sagt. Was geziemt sich daher für uns evangelische Christen im Blick auf den 30. Januar? Es ist ein Dreifaches: Einmal ein demütiger Dank. Wir sehen, daß Gott uns hilft. Wie tief waren wir gesunken, wie groß war die Not, die uns umgab. Wie groß die Uneinigkeit, die sozialen Gegensätze. Wie haben wir gelitten und geseufzt unter dem Sittenzerfall und der religiösen Not. Die Dampfwalze vom Osten rückte heran, um unser Vaterland ganz zu Boden zu drücken. Wir waren am Ende unserer Kraft.

Da half uns Gott. Da ließ er uns seine Gegenwart merken. Er wollte sich noch einmal über uns erbarmen, uns noch einmal die Zukunft schenken, noch einmal aus uns ein Volk der Geschichte machen.

Wenn wir uns einmal ernst prüfen und dann wissen, daß wir diese Hilfe nicht verdient haben, dann sind wir am heutigen Tage umso mehr zu Dank gegen Gott verpflichtet. Wir wollen ihm daher preisen für sein Werkzeug, das er uns gegeben hat, um uns noch einmal zu retten.

Zum anderen geziemt sich für uns ein heiliger Entschluß. Noch sind alle Nöte nicht überwunden. Es bleibt uns noch das Panier des Kampfes. Noch sind alle Kräfte, die wider Gott und Volk sind, nicht niedergerungen. Als evangelische Christen kämpfen wir weiter im Namen Gottes, im kühnen Vertrauen auf ihn, daß er uns hilft.

Ein Christ kann aber nur kämpfen in der Liebe, in der Liebe zu dem, der sein Leben für uns gelassen hat. In der Kraft dieser Liebe wollen wir daher den Kampf aufnehmen, für den Volksgenossen, den da hungert und der da friert. Aber dieser heilige Entschluß entbehrt der Kraft, wenn nicht betende Hände dahinter stehen. Wir wollen uns daher alle im Gebet hinter den Führer stellen. Dann sind wir die besten Patrioten. "Das ist der beste Mann, der beten kann", sagt Ernst Moritz Arndt. Möge es unser heiliger Entschluß sein, daß nun aller Haß und Neid verschwinden, daß einer des anderen Last trägt.

Diesem Entschluß aber schließen wir eine inbrünstige Bitte an: Herr erhöre unser Flehen, erhalte uns. Es ist leichter, auf die Höhe zu kommen, als auf der Höhe zu bleiben. Leicht geht es wieder bergab. Im Sieg scheiden sich so oft wieder die Geister. Nur, wenn wir unserem alten Gott dienen, dann geht es weiter. "Land, Land, Land! Höre des Herrn Wort!"

Nach dieser eindrucksvollen Predigt schloß die Feierstunde mit dem Gesang: "Nun danket alle Gott ..."

 

(aus: Bünder Generalanzeiger 50. Jg., Nr. 26 v. 31.1.1934)

 

 

Aufgaben:

1. Beschreiben Sie das Verhältnis zwischen evangelischer Kirche und Nationalsozialismus, wie es in der vorstehenden Quelle zum Ausdruck kommt!

2. Wie begründet Pfarrer Prüßner seine Haltung?

3. Suchen Sie nach Erklärungen für dieses Phänomen!





An das ev. Konsistorium

Münster

 

Südlengern, den 27.12.1934

 

Die Unterzeichneten erlauben sich folgende Beschwerde zu unterbreiten.

 

Im häßlichen, verabscheuungswürdigen Kirchenkampf gesehenen Dinge, die nicht nur unserer lieben ev. Kirche, unserer Gemeinden und ihren Pfarrern, sondern ganz besonders dem Nationalsozialistischen Staate den allergrößten Schaden zufügen. Da letzteres geradezu in erschreckendem Maße in unserer Gemeinde betrieben wird, halten wir es für unsere Pflicht, uns mit aller Entschiedenheit gegen die Maßnahmen der Bünder Pfarrer und des Superintendenten Niemann in Herford zu wehren, die das Ziel erfolgen, den nationalsozialistisch gesinnten Missionar Vieker aus seinem Amt zu entfernen. Wie überall, so haben sich auch in Südlengern zwei Fronten gebildet. Auf der einen Seite stehen die deutschen Christen und alle die, die den Staat Adolf Hitlers freudig bejahen und darum auch im Gehorsam zum Reichsbischof und der Reichskirchenregierung stehen. Dagegen stemmt sich die sogenannte Bekenntnisfront. Es ist sehr bezeichnend, wenn festgestellt werden muß, daß in dieser Gruppe nicht ein einziger Nationalsozialist zu finden ist, sie setzt sich vielmehr fast auschließlich aus früheren Deutschnationalen, Marxisten und Kommunisten zusammen. Diese Bekenntnistreuen wollen das dritte Reich nicht. In Wort und Tat werden die Maßnahmen und Ziele unseres Führers verächtlich gemacht. Ihre wahre Besinnung kommt schon allein dadurch zum Ausdruck, daß sie öffentlich auf der Straße den deutschen Gruß (Hitlergruß) mit "guten Tag" erwidern. Ihnen kommt es darauf an, die Volksgemeinschaft zu zerschlagen. So wurde vor mehreren Monaten im Schulbezirk Südlenger-Heide eine Bekenntnisfrauenhilfe gegründet, die als Vorsitzende eine Bauersfrau wählte, die jegliche Mitarbeit am Winterhilfswerke ablehnte. Diese Frau wurde gebeten, für die armen Hilfsbedürftigen unserer Gemeinde einige Hemden zu nähen. Sie weigerte sich mit dem Bemerken, daß sie keine Zeit habe, obwohl sie zwei nähgewandte erwachsene Töchter im Hause hat, die ihr zur Seite stehen. Dabei ist diese Frau die Gattin des Presbyters von Südlengern. Ihr Mann gehört seit Jahren zum Wohlfahrtsausschuß unserer Gemeinde. Trotz wiederholter Aufforderung, Mitglied der N.S.V. zu werden, ist er bis heute dieser Organisation nicht beigetreten und mußte deshalb jetzt vom Wohlfahrtsausschuß ausgeschlossen werden. Beide sind aber führende Krafte der Bekenntnisfront.

Der Kampf wurde bewußt von den Pfarrern in Bünde nach Südlengern getragen. Pastor Prüßner scheute sich nicht, im Herbst den Missionswanderredner Hunke, einen früheren Marxisten, nach Südlengern zu holen, um das Feuer noch zu schüren, Er duldete sogar, daß dieser Hunke, dem inzwischen das Evangelisieren polizeilich untersagt ist, den Führer und die Bewegung verächtlich machte. Man sieht also genau, was gespielt wird. Unter dem Deckmantel der Kirche muß gegen diesen nationalsozialistischen Staat gewühlt werden.

Diese Wühlarbeit setzte aber in furchtbarer Weise ein, als sich im September dieses Jahres unser Seelsorger, der Missionar Vieker, offen zu den deutschen Christen bekannte. Es war schon lange Zeit allgemein bekannt, daß Vieker Nationalsozialist sei, denn immer stellte er sich überall da zur Verfügung, wo die Bewegung ihn gebrauchte. Er war immer gern bereit, an den nationalsozialistischen Festtagen den Gottesdienst abzuhalten. Man vermutete auch, daß er den deutschen Christen nahe stand. Darum setzte allmählich das Mißtrauen aller reaktionärer Kreise gegen ihn ein, besonders aber der Bünder Pfarrer und des Superintendenten. Als dann ein Übertritt erfolgte, wollte man ihn moralisch vernichten. Zunächst sperrte man ihm für einige Tage einen Teil seines Gehaltes. Dann versuchte der Superintendent, ihn zu bewegen, seine eigene Kündigung einzureichen and jetzt bringt ihm dieser Superintendent ausgerechnet einige Tage vor Weihnachten seine Zwangsbeurlaubung für den Monat Januar mit der Begründung, er habe die Gemeinde nicht mehr hinter sich, und die Bekenntnisleute wollten Bekenntnisgottesdienst haben. Dazu ist zu sagen, daß wohl noch niemals ein Pfarrer die gesamte Gemeinde hinter sich hatte, und in dieser Zeit hat auch kein Bekenntnispfarrer die ganze Gemeinde auf seiner Seite, auch nicht die Pfarrer in Bünde, das beweisen die Besuche ihrer Gottesdienste. Wenn nun die Bekenntnisleute den Gottesdienst des M. V. durch ihr Fernbleiben sabotieren, so haben sie kein Recht, Bekenntnisgottesdienste zu fordern, denn nach wie vor verkündigt der Missionar das reine Evangelium, und das bestätigen selbst Bekenntnistreue. Ja, sie erklären geradezu, weil er heute noch so predige, darum wolle man ihn nicht. Wie kommt nun aber der Superintendent dazu, den Forderungen der Pfarrer von Bünde nachzugeben? Ist er gerecht genug, überall da auch Gottesdienste für die deutschen Christen abhalten zu lassen, die doch alle Glieder der ev. Kirche sind? Das kommt natürlich nicht in Frage, da diese ja dem Staate Adolf Hitlers die Treue halten. Besonders ist der Pfarrer Prüßner am Werk, in der Gemeinde das Vertrauen zum Missionar Vieker zu vernichten.

Er kommt überall in die Hauser unseres Gemeindebezirks, den er seelsorgerisch gar nicht zu betreuen hat. Ja, er besucht auch solche, die ihn durchaus nicht wünschen. Man sollte glauben, daß er in seiner eigenen Gemeinde Arbeit genug habe, wenn er seinen Pflichten nachkommen wolle. Es ist sogar vorgekommen, daß eine alte Frau aus Bünde zu ihrem Geburtstage das hl. Abendmahl wünschte, das sie aber erst acht Wochen später bekam. Als im Schulbezirk Südlenger-Heide, der heute noch zu einem erheblichen Teil marxistisch eingestellt ist, ein Teil der Konfirmanden durch Fernbleiben des K.Unterrichts streikte, da war es Pastor Prüßner, der sich erbot, diesen Ungehorsamen den Unterricht zu erteilen. Bis jetzt hat er sich aber wenig um diese bekümmert. Vielleicht gedenkt er, auch sie ohne gründliche Vorbereitung konfirmieren zu wollen, wie er das in zwei Fällen in Südlengern getan hat, einen jungen Mann nach vier Wochen und einen Schüler nach einem Vierteljahr Konfirmandenunterricht.

All das Unrecht und die entsetzlichen Lügen und Verleumdungen sollen den Missionar Vieker zermürben, der in treuem Gehorsam zur Obrigkeit steht, der als Frontkämpfer seinem Vaterlande gegenüber seine Pflicht erfüllte und als Kriegsbeschädigter in die Heimat zurückkehrte, der hinausging in die Tropen und im Dienste der Mission seine Gesundheit opferte. Wir aber verwahren uns mit allem Nachdruck gegen das unchristliche Gebahren der Bünder Pfarrer und das Superintendenten Niemann, die das Wort des Heilands: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" verachten. Wir fordern vielmehr, daß alles Unrecht wieder gut gemacht wird.

 

Siegel mit der Aufschrift:

Gemeinde Südlengern

Amt Ennigloh

Kreis Herford

gez.

H. Krömker

 

Uehlemann

 

Dresholtkamp

 

Meyer

 

Kleimann

 

W. Struckmeier

 

(Landeskirchliches Archiv Bielefeld, Nr. 4,54 – 1,37)

 


 

Der Landrat

Herford, den 31. Januar 1935

An

den Herrn Regierungspräsidenten

in Minden

 

Geheim!

 

Bekenntnissynode

 

Verfügung vom 27.12.1934 – I P 3970

 

 

Über die Zugehörigkeit zur Bekenntnisfront ist folgendes festgestellt:

 

Stadt Bünde:

Die Mitgliederliste der sogenannten Bekenntnisgemeinde hat sich der Bürgermeister noch nicht beschafft. Er hielt sich dazu noch nicht für berechtigt, solange nicht bestimmte Verdachtsmomente für staatsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Auch glaubt er nicht, daß man die hiesigen Mitglieder der Bekenntnisgemeinde als staatsfeindlich wird bezeichnen dürfen. Die allgemeinen Wahrnehmungen geben folgendes Bild: Die Bevölkerung der Stadt Bünde ist kirchlich eingestellt. Zahlreiche Mitglieder der SPD und wahrscheinlich sogar vereinzelte Mitglieder der KPD, mindestens soweit die Familienmitglieder in Betracht kommen, sind Anhänger der Kirche und besuchen den Gottesdienst ziemlich regelmäßig. Es ist anzunehmen und aus verschiedenen Beispielen bekannt, daß solche früheren Mitglieder der SPD sich auch jetzt der Bekenntnisgemeinde angeschlossen haben. Sie haben früher die Anhänglichkeit an die Kirche entgegen der herrschenden Auffassung ihrer Partei bewiesen. Ihren Anschluß an die Bekenntnisfront wird man daher nicht auf politische Beweggründe zurückführen können. Der N.S. Frontkämpferbund, insbesondere auch die neu eingetretenen Mitglieder, die nicht Frontkämpfer waren, setzt sich ganz überwiegend aus alten deutschnationalen Kreisen zusammen. Auch diese haben sich hier meist zu einer strengen kirchlichen Auffassung bekannt. Sie sehen überwiegend in der Bekenntnisfront eine Kampfgruppe zur Sicherung des alten Bekenntnisstandes, den sie durch die kirchliche Neuordnung für gefährdet halten. Sie sind daher sicherlich heute auch zumeist Mitglieder der Bekenntnisgemeinde geworden. Auch hier dürften nur kirchenpolitische Gründe maßgebend sein. Auf darüber hinausgehende politische Absichten wird man nicht zurückschließen können. Die Bekenntnisfront soll annähernd 80 % der Mitglieder der Kirchengemeinde umfassen. Die deutschchristliche Bewegung spielt demgegenüber in Bünde keine Rolle. Sie ist zahlenmäßig recht gering und setzt sich nur zum allerkleinsten Teil aus Mitgliedern zusammen, die man früher als am Kirchenleben interessiert betrachten konnte.

Nach den besonderen örtlichen Umständen sieht der Bürgermeister in der Bekenntnisfront keine politische Gefahr. Die gewünschten zahlenmäßigen Angaben können nur gemacht werden, wenn Anweisung ergeht, das Mitgliederverzeichnis der Bekenntnisgemeinde einzusehen.

(...)

Amt Ennigloh:

Im hiesigen Ortspolizeibezirk, insbesondere in den Gemeinden Dünne und Südlengern, ist beobachtet, daß Personen, die früher der SPD oder KPD angehörten oder doch ihr nahe standen, für die Bekenntnissynode werbend eintreten. Daß diese Personen der Bekenntnissynode beigetreten sind, habe ich nicht feststellen können. Über die Beteiligung des N.S.D.F.B.-Stahlhelm an der Bekenntnisfront sind hier keine Beobachtungen gemacht.

 

gez. Hartmann

 

(aus: Staatsarchiv Detmold, M 1 I P, Nr. 653)

 


 

Der Bürgermeister
der Stadt Bünde

Bünde, den 11. Februar 1935

Geheim

 

An den

Herrn Regierungspräsident

Minden

 

durch den Herrn Landrat

Herford

 

 

Betrifft: Zugehörigkeit zur Bekenntnisfront. Zur Verfügung vom 27.12. 1934 - I P 3970.

 

Mit Bezug auf die persönliche Rücksprache vom 2. d. Mts. darf ich darauf verweisen, daß mein Bericht vom 14. Januar lediglich den Nachweis auch früherer kirchlicher Gesinnung der Mitglieder der jetzigen sogenannten Bekenntnisfront zu führen bemüht war. Ich darf ihn daher im Sinne der Verfügung des Herrn Regierungspräsidenten vom 27.12.34 dahin ergänzen, daß ich weder für die ehemalig marxistischen Parteien noch für den Stahlhelm den Beitritt ehemalig kirchenfeindlicher Personen zur Bekenntnisfront habe feststellen können. Es ist mir mindestens bezüglich der radikalen Mitglieder der S.P.D. und insbesondere der Kommunisten bekannt, daß sie sich nach wie vor von allen kirchlichen Veranstaltungen fernhalten. Es interessiert im übrigen vielleicht die Mitteilung, daß hier die Bekenntnisfront ausdrücklich Vorkehrungen getroffen hat, um Mitglieder fernzuhalten, die sich hier aus anderen als kirchlichen Gründen hatten anschließen wollen. Zur karteimäßigen Erfassung der Mitglieder hat sich die Bekenntnisgemeinde, wie ich erfahren habe, zuverlässiger und sogar der N.S.D.A.P. angehöriger Vertrauensleute bedient. Diese Vertrauensleute haben in ihrem Bezirk die Zugehörigkeit zur Bekenntnisgemeinde festgestellt. Dabei wurden die als politisch marxistisch und gleichzeitig als kirchenfeindlich bekannten Personen von vornherein ausgeschaltet. Aber auch alle anderen wurden ausdrücklich befragt, ob lediglich kirchliche Gründe für den Erwerb der Mitgliedschaft bestimmend seien. Nur wer diese Frage rückhaltlos bejahte, sollte aufgenommen werden. Wenn auch dieses Verfahren selbstverständlich nicht untrüglich ist, so scheinen mir doch in der Personen- und Ortskenntnis der Vertrauenslaute gewisse Garantien zu liegen, daß ein Beitritt von Mitgliedern aus irgend welchen politischen Gründen ausgeschlossen wurde. Hierin liegt die Bestätigung meiner Beobachtungen, daß für die Zusammensetzung der Bekenntnisfront hier nur kirchliche Gesichtspunkte maßgebend waren. Ich darf übrigens zum Schluß noch darauf aufmerksam machen, daß zur Wahrnehmung der Geschäfte der hiesigen Bekenntnisgemeinde ein Bruderrat gebildet worden ist, dem nach meiner Kenntnis auch 2 amtierende und der N.S.D.A.P. angehörige Gemeindeschulzen von Nachbargemeinden angehören. Sie würden sich sicher gegen alle politische Ausnutzung der Bekenntnisfront wenden. Ich bitte auch hieraus entnehmen zu wollen, daß die Bekenntnisfront hier völlig unpolitisch ist und sich keineswegs etwa gegen die N. S.D.A.P. abgrenzt.

 

gez. Dr. Moes

 

(aus: Staatsarchiv Detmold, M 1 I P, Nr. 653)

 


 

Abschrift!

 

Ennigloh, den 15. August 1937

 

Am heutigen Tage habe ich den um 10 Uhr in der Notkirche in Ahle stattgefundenen und von Pfarrer Dreyer, Ahle, abgehaltenen Gottesdienst überwacht.

Hier ist besonders anzuführen, dass der Redner nach Schluss der Kanzelpredigt die Namen der verhafteten und der im Konzentrationslagern untergebrachten Personen und Pfarrer bekannt gab, die ein Redeverbot erhalten haben. Diese wurden nach Name, Stand und Beruf angeführt. Es handelte sich um Pfarrer, Rechtsanwälte, Kaufleute und Bauern. Auch handelte es sich um Personen, wie der Redner erwähnte, die am Gericht freigesprochen aber trotz Freispruch in ein Konzentrationslager untergebracht worden seien. Ferner gab der Redner bekannt, dass am 8. August 250 Kirchenbesucher in Berlin verhaftet worden wären.

In einer besonderen Fürbitte wurde dann noch der vorgenannten Personen gedacht. Insbesondere gedachte der Redner des verhafteten Pfarrers Niemöller in Berlin.

Eine Sammlung für ein Notopfer fand nicht statt.

 

gez. Focke , Pol. Hauptw.

 

(Kommunalarchiv Herford, Kreis, A, Nr. 403)

 


 

Geistliche Leitung
der Kirchenprovinz Westfalen

 

Bünde, den 19. August 1937

 

Herrn Pfarrer F i e b i g zur Weitergabe an das Konsistorium

in Münster

 

 

Am 16. August d.J. hatte ich die kirchliche Beerdigung des Herrn Justizinspektors Aug. Steinbrink, Bünde. Auf Wunsch der Angehörigen sollte nach allgemein üblicher Sitte geläutet werden. Herr Reg.-Ass. Steinbrink, der Sohn des Verstorbenen, hat Herrn Pfarrer Prüßner als derzeitigen Vorsitzenden des Presbyteriums gebeten, zu veranlassen, daß geläutet würde. Herr Pfarrer Prüßner hat daraufhin zunächst gefragt, wer die Beerdigung vornähme. Als ihm gesagt wurde, daß ich es sei, hat er das Trauergeläut abgelehnt mit der Begründung: "Mit Pastor Karlmeier haben wir nichts zu tun!" Auf die wiederholte Bemühung des hiesigen Kriegervereins hat Herr Pastor Prüßner weiter hartnäckig das Geläut verweigert.

Dieses Verhalten hat weithin große Erregung hervorgerufen und wird allgemein als verabscheuungswürdig bezeichnet. Die Erregung ist umso größer, als sich der Verstorbene wegen seines lauteren, aufrechnen Charakters großer Achtung und Beliebtheit erfreute. Ich selbst habe in seiner Krankheitszeit häufig Gelegenheit zur seelsorgerlichen Aussprache mit ihm gehabt und bin stets erfreut gewesen über die Tiefe echt christlicher Frömmigkeit, von der er durchdrungen war. Darum ist es mir um so schmerzlicher, daß gerade einem solchen Manne das Trauergeläut verweigert wurde.

Es geht jedoch hier um etwas Grundsätzliches. Nicht darum, daß wir als "Deutsche Christen" durch dieses Verhalten des Herrn Pastor Prüßner herabgesetzt werden sollen als solche, bei deren Beerdigung die Glocken christlicher Kirchen schweigen müssen, da sie angeblich "Heiden" sind. Vor dieser Verleumdung fürchten wir uns nicht, da wir uns unter das gerechte Urteil des Herrn der Kirche gestellt wissen, und auch in diesem Falle hat er gut gemacht, was Menschen böse zu machen gedachten, denn bei vielen aus der großen Trauergemeinde ist, wie mir wiederholt gesagt wurde, ihr sonst auf üble Verleumdung gegründetes Urteil dadurch, daß sie hörten, daß Christus auch uns der Herr über Tod und Leben ist, geändert worden.

Es ist mir jedoch auch schmerzlich gewesen, daß ich wiederholt gefragt wurde: "Wie ist ein solches Verhalten seitens eines christlichen Pfarrers in einer christlichen Kirche möglich?" Darin liegt das Grundsätzliche des vorliegenden Falles. Es geht hier nicht um den Nutzen oder Schaden der einen oder anderen kirchpolitischen Gruppe. Es geht hier um die Schädigung des Christentums und um das Ansehen der christlichen Kirche überhaupt.

Daher bitte ich dringend, daß das Konsistorium veranlassen wolle, daß künftig derartige Fälle nicht mehr vorkommen. Ich bin ordnungsmäßig zu meiner hiesigen Tätigkeit berufen und glaube, daß mich niemand einer Irrlehre zeihen kann. Daher ist es doch wohl selbstverständlich, daß bei ordentlichen Gliedern unserer Kirche, die es wünschen, durch mich beerdigt zu werden, auch die Glocken der Kirche zur Beerdigung erklingen.

Ich bitte um beschleunigte Regelung dieser Angelegenheit, da ein zweiter Fall in nächster Erwartung steht, und damit ich dann weiß, wie ich zu handeln habe.

 

Heil Hitler!

(Karlmeier )

 

(Landeskirchliches Archiv Bielefeld, Nr. 4,54 – 1,37)

 


 

Abschrift

 

Stapo II

Bielefeld, den 15. Sept. 1937

1) Vermerk

 

2) FS. an Gestapa Berlin, Abtlg. II B

 

Dringend! Eilt sehr! Sofort vorlegen!

 

 

Betrifft: Versagung des üblichen Glockengeläutes bei der Beerdigung eines Deutschen Christen durch den zu ständigen Bekenntnispfarrer

 

Vorgang: ohne

 

 

Am 12.9.37 verstarb in Bünde, Kr. Herford, der Invalide A l t v a t e r. Entsprechend seinem auf dem Sterbette geäusserten Wunsche beauftragten die Hinterbliebenen den Hilfsprediger Karlmeier in Bünde mit der Beerdigung. Die Familie Altvater und der Hilfsprediger Karlmeier sind Anhänger der Deutschen Christen. Die Familie Altvater ist ausserdem in Bünde allgemein als schon lange vor der Machtübernahme nationalsozialistisch eingestellt bekannt. Der Sohn, Friedrich Altvater, zur Zeit Berlin-Mahlsdorf, Taxusweg 12, war schon 1929 in das Stadt-Parlament gewählt worden. Er gehörte auch als nat.soz. Abgeordneter dem Provinzial-Landtag Westfalen an. Der Sohn, Friedrich Altvater, bestellt nun bei dem in Abwesenheit des zuständigen Pfarrer Prüßner diesen vertretenden Pfarrer Meier zu Helligen zu Bünde das in Bünde übliche Grabgeläut während der Beerdigung seines verstorbenen Vaters. Prüßner und Meier zu Helligen sind Angehörige der Bekenntniskirche. Sie verweigerten das Glockengeläut. Sie erschienen auf Bestellung heute auf der Dienststelle und wurden hier befragt, warum sie das übliche Glockengeläut anlässlich der morgen stattfindenden Beerdigung des Altvater verweigerten. Als Sprecher antwortete der Pfarrer Meier zu Helligen: Der bei der Beerdigung des Altvater amtierende Hilfsprediger Karlmeier sei für Bünde nicht legalisiert, d.h. nicht ordnungsgemäss bestellt.

Den Pfarrern wurde darauf das Schreiben des evgl. Konsistoriums in Münster vom 17.7.1937 vorgelegt, in dem der Hilfsprediger Karlmeier zwecks Versorgung der deutsch-christlichen Minderheit nach Bünde berufen ist. Sie erklärten, sie hätten davon bisher keine Kenntnis gehabt, nach Ihren Erkundigungen sei Karlmeier nach Bielefeld berufen worden, nunmehr müssten sie aber anerkennen, dass Karlmeier für Bünde legalisiert ist.

Der Pfarrer Meier zu Helligen erklärte als Sprecher weiter: Karlmeier sei in die Gemeinde Bünde ''eingebrochen", er störe dort die allgemeine Ruhe und den Frieden in der Kirchengemeinde. Er habe erst den Kirchenstreit aufleben lassen, vorher sei Ruhe gewesen, er werde voraussichtlich auch die Beerdigung des Altvater zu einer Propagandaaktion machen, wobei ihm das Glockengeläut besonders gelegen käme. Sie müssten also die Versagung des Glockengeläutes auf diese mit dem gegenwärtigen Kirchenstreit zusammenhängenden Umstände stützen.

Die Pfarrer wurden darauf hingewiesen, dass das bei Beerdigungen übliche Glockengeläut nicht deshalb verweigert werden darf, weil der Verstorbene oder der amtierende Geistliche den Deutschen Christen angehört, während der zuständige Pfarrer oder das Presbyterium Anhänger der Bekenntniskirche ist. Zur Aufrechterhaltung des kirchlichen Friedens muss die Versagung des üblichen Glockengeläutes bei Beerdigungen auf Grund von Umständen, die mit dem Kirchenstreit zusammenhängen, unbedingt unterbleiben. Hinzu kommt, dass die Familie des Verstorbenen sich schon seit 1929 für die Bewegung eingesetzt hat und allgemein in Bünde als nationalsozialistisch bekannt ist. Das Versagen des Glockengeläutes seitens des zuständigen Bekenntnispfarrers könnte als Angriff gegen die nat.-soz. Einstellung der Familie Altvater aufgefasst werden. Da ferner das Glockengeläut sonst nur bei Personen versagt wird, gegen die etwas Ehrenrühriges vorliegt, würde auch die persönliche Ehre des natioanlsoz. eingestellten Verstorbenen in aller Öffentlichkeit herabgewürdigt werden. Die beiden Pfarrer konnten stichhaltige Einwendungen hiergegen nicht vorbringen. Der für die Erteilung der Genehmigung zum Läuten der Glocken zuständige Pfarrer Prüßner erbat sich jedoch endgültig Bedenkzeit bis zum 16.9.37, 11 Uhr, aus.

Die Beerdigung findet am gleichen Tage um 15 Uhr statt. Die beiden Pfarrer wurden nunmehr eindringlich darauf hingewiesen, dass ihnen keinerlei Bestimmungen zur Seite stehen, welche die Versagung des Glockengeläutes rechtfertigen können, dass also die Versagung des Glockengeläutes allein auf ihrer kirchenpolitisch gegnerischen Einstellung gegenüber dem Verstorbenen und dem bei der Beerdigung amtierenden Geistlichen beruht und somit lediglich mit dem gegenwärtigen Kirchenstreit zusammenhängt. Sie wurden ferner darauf aufmerksam gemacht, dass sie bei endgültiger Versagung des Glockengeläutes staatspolizeiliches Vorgehen gegen sie zu erwarten haben, da ihr Verhalten eine Gefährdung, sogar eine Störung der öffentl. Sicherheit und Ordnung darstellt.

Sollte der für die Anordnung des üblichen Glockengeläutes zuständige Pfarrer Prüßner in Bünde endgültig das Glockengeläut verweigern, so werde ich ihn zur Aufrechterhaltung der öffentl. Sicherheit und Ordnung für 7 Tage in Schutzhaft nehmen. Ich bitte um dortige Zustimmung.

I.V.

gez. Dr. Fest

 

(Staatsarchiv Detmold, M 1 I P, Nr. 655)

 


 

Dr. Berlin NÜ 153 561

16.9.37   11.00

An Stapo Bielefeld

Sehr dringend!

 

Betrifft: Versagung des Begräbnisgeläutes

Vorgang: Dort. FS. 2198 vom 15.9.37 II B 1

 

Durch Inschutzhaftnahme des Pfarrer Prüßner wird das Begräbnisgeläute nicht sichergestellt. Ich ersuche, Massnahmen zu treffen, um das Begräbnisgeläut tatsächlich während der Beerdigung durchzuführen. Nur wenn Pfarrer Prüßner die Durchführung des Glockengläutes verhindern sollte, bin ich mit einer Inschutzhaftnahme einverstanden. Ich ersuche um sofortigen Bericht.

 

Gestapa Berlin II B 2 E

 

(Staatsarchiv Detmold, M 1 I P, Nr. 655)

 


 

Stapo

Bielefeld, den 16.9.1937

II B I – 2588/37

 

 

1) FS an Gestapa:

 

Betrifft: Versagung des Begräbnis-Geläutes

Vorgang: FS. Erl. vom 16.9.37 - NÜ 153 56l - II B 2 E

 

Pfarrer Prüßner  hat sich aus den genannten Gründen geweigert, die Glocken läuten zu lassen und erklärt, er beuge sich nur der Gewalt. Auf unmittelbare staatspolizeiliche Anweisung hat dann der Küster das übliche Begräbnis-Geläute während der Beerdigung durchgeführt. Pfarrer P. unternahm hiergegen nichts. Gemäss dem o.a. Erlass musste deshalb von einem Vorgehen gegen P. abgesehen werden.

 

I.V.

gez. Dr. Fest

 

(Staatsarchiv Detmold, M 1 I P, Nr. 655)