Wundersames Anderland
Es ist still. Patientin Nr. 263 kniet auf ihrem Bett. Krampfhaft klammert sie sich an ihre Karnickelpuppe aus weißem Stoff. Ihre Augen starren ins Leere. Sie zittert leicht. Auf einmal betreten zwei Personen den Raum, ein Mann und eine junge Frau. Beide sind Ärzte hier in der Nervenheilanstalt Ramstein-Miesenbach. Er ist schon viele Jahre hier und hat sich auf eine vergleichsweise hohe Position hochgearbeitet. Sie ist recht neu hier und wurde erst kürzlich mit dem Fall der Patientin Nr. 263 beauftragt. Trotzdem ist sie zuversichtlich, wenn auch etwas nervös. Die beiden Ärzte diskutieren, was wohl die beste Vorgehensweise im Falle der Patientin sei. Alice wie sie in Wirklichkeit heißt, verlor ihre Eltern bei einem Hausbrand. Seitdem leidet sie an gespaltener Persönlichkeit und führt Gespräche mit ihrer toten Katze Diana auch „Grinsekatze“ genannt.
Dies war der Anfang des Stückes Alice im Anderland, gespielt vom Literaturkurs Q1 unter der Leitung von Frau Reinke. Es handelt von der jungen Alice (gespielt von Mirjam Schöneberg und Ann-Kathrin Neiss), der neuen Patientin in der Nervenheilanstalt. Dort taucht Alice immer mehr in das „Anderland“ ein, so nennen die Patienten die Anstalt, und erlebt ein seltsames Abenteuer. Während des Stückes gibt es immer wieder kleine Zwischenspiele, in denen die Ärzte kurze Vorträge über verschiedene Krankheiten und diverse Heilungsmethoden halten.
Alice ist allein in ihrem Zimmer. Na ja, wenn man die Grinsekatze (Belkis Gülec, Claire Niermann), die ja nur in Alices Gedanken existiert, mitzählt, sind sie zu zweit. Alice und die Katze unterhalten sich über die Ärzte. Sie beschließen, das Zimmer zu verlassen und die anderen Patienten kennenzulernen. Nach einer ordentlichen Dosis Beruhigungspillen, von denen Alice nach wochenlangem Konsum ziemlich süchtig ist, geht es auch schon los.
Schnell lernen die beiden die anderen Patienten kennen: Das Kaninchen, die Herzogin, den Hutmacher, die Raupe und außerdem die Köchin der Anstalt (Lara Lenz, Mia Brinkmann). Sie alle erzählen Geschichten über die „Herzkönigin“ (Jessica Oberpenning). Diese ist angeblich sehr mächtig und sehr gefährlich und übt ihre Macht in der Nacht aus, wenn die Ärzte nicht anwesend sind. Die Lakaien, die in der Anstalt für die Drecksarbeit (Patienten ruhig stellen, sauber machen, etc.) da sind, stehen angeblich unter ihrem Kommando. Trotzallem bleibt weitestgehend unklar um wen es sich bei ihr handelt.
Alice lernt die anderen Patienten langsam kennen.
Die zurückhaltende Herzogin (Alina Lange, Charlotte Kellermeyer) ist in der Anstalt, da sie eine Zeit lang unter großen Ängsten litt. Das ging so weit, dass sie irgendwann ihren eigenen Sohn ertränkte um ihn vor all dem Bösen in der Welt zu schützen. Stattdessen trägt sie jetzt stets ein Kissen mit sich herum, welches sie pflegt wie ihren Sohn und dem sie den Namen Kissbert gab.
Der Hutmacher (Mark Heipmann, Yannick Bernhardt) war jahrelang im Krieg. Nun hat er eine posttraumatische Belastungsstörung, was bedeutet, dass er an Flashbacks leidet, die ihn zwingen, seine schlimmsten Kriegserlebnisse immer und immer wieder zu durchleben. Er denkt außerdem immer noch sehr militärisch und strategisch.
Die Raupe (Estelle Biehle, Jördis Moning) ist meistens komplett benebelt von irgendwelchen Beruhigungsmitteln. Durch die vielen Drogen hat sie jeden Bezug zur Realität verloren und bekommt meist gar nicht mit, was um sie herum geschieht.
Das Kaninchen (Jenny Machleit, Nele Ransiek) leidet an Verfolgungswahn. Es ist extrem schreckhaft und weint viel. Es lebt schon am längsten in der Anstalt, hat aber immer noch größten Respekt vor der Herzkönigin. Als Alice das Kaninchen besucht, hockt es in seinem „Bau“. Es warnt Alice und die Grinsekatze, nachts das Zimmer zu verlassen, denn der sadistische Herzbube (Leon Nissen), die rechte Hand der Herzkönigin, fällt jeden Patienten, der sich nachts auf den Gängen herumtreibt, mit seinem Schlagstock an.
Am nächsten Tag beraten sich die Arbeitskräfte in der Anstalt. Die beiden Ärzte sowie einer der Lakaien (Fabian Uschmann) sind da. Auch Herzbube und Herzkönigin sind anwesend. Es stellt sich heraus, dass die beiden Direktorin und Nachtwächter der Anstalt sind. Am Tag machen sie auf ganz normale Leute, doch in der Nacht, wenn sie alleine sind, nutzten sie die Macht, die sie über die Patienten haben, gnadenlos aus.
Die junge Ärztin (Dana Kutzinski, Emily Dick) schlägt eine Gruppentherapie vor. Sie hofft so den Patienten und insbesondere Alice damit weiterhelfen zu können. Der Arzt (Janis Heipmann, Benjamin Bartel) ist stark dagegen, denn er weiß, dass sowas auch schnell nach hinten losgehen kann. Und wirklich: Die Patienten rebellieren und wollen sich kein bisschen auf die Vorschläge der Ärztin einlassen.
Alice macht sich nach der Therapie auf, die Königin zu finden. Sie hat die Anstalt endgültig satt. Die Katze folgt ihr recht widerwillig, aber letzten Endes hat sie keine andere Wahl als mitzukommen. Die beiden treffen auf den Buben und die Königin und Alice fordert die Königin heraus. Grinsekatze gefällt das so gar nicht.
Am nächsten Tag trommelt Alice alle Patienten sowie die Köchin zusammen und ruft sie zum Kampf gegen die Herzkönigin auf. Ihr Plan, Bube und Königin zu töten, trifft auf großen Zuspruch. Doch letzten Endes entschließen sich die Patienten, es bei der Flucht zu belassen. Der Plan ist simpel: Das Kaninchen wird durch eine geheime Tür in das Büro der Königin eindringen, den Schlüssel zur Eingangstür der Anstalt stehlen und dann können alle fliehen. „Rein und wieder raus.“ Mit diesen Worten schicken die Patienten das Kaninchen in das Büro, wo wahrscheinlich der sichere Tod auf es wartet. Die Grinsekatze ist entsetzt. Sie versucht, an die menschliche Seite der Patienten zu appellieren, doch vergebens. Als das Kaninchen erwischt wird, machen sich alle Patienten eilig aus dem Staub. Nur Alice und die Katze beschließen, dem Herzbuben entgegenzutreten. Dieser erledigt Alice jedoch ohne Schwierigkeiten. Währenddessen stirbt das Kaninchen im Büro der Königin.
Ein paar Tage später sitzt Alice wieder in Ihrem Zimmer. Sie erlitt einen Nervenzusammenbruch. Ihre Wunden sind immer noch nicht ganz verheilt. Die Grinsekatze ist bei ihr. Beide wissen, dass die Königin sie tot sehen will. Während die Katze so langsam panisch wird, bleibt Alice weiterhin ruhig. Als die Katze fragt wie sie das macht, erklärt Alice ihr ihren Plan: Alices Eltern starben bei einem Brand und genauso werden auch alle hier in der Anstalt sterben. Die Katze versucht Alice umzustimmen, doch Alices Wut auf die Königin und die Patienten, die das Kaninchen einfach so haben sterben lassen, ist zu groß.
Bei ihrem Streit mit der Katze wird sich Alice auf einmal ihrer gespaltenen Persönlichkeit bewusst. Nach einem Kampf mit sich selbst überwindet Alice die Katze (ihre gute Seite). Symbolisch lässt sie den Stoffhasen, den sie seit sie die Anstalt betreten hat, stets bei sich trug, fallen. Nun steht ihrem Plan nichts und niemand mehr im Wege.
Das Stück endet mit den Worten: „Ich bin Alice. Und sie … sie werden brennen!“